Wie eine Kind

Di 15.11.2022

Lk 19:1-10 Zachäus, Oberzöllner von Jericho

Zachäus ist sehr reich. Und Reiche kommen eigentlich nicht in den Himmel, denn die Pforte ist zu eng, sie kommt nicht hindurch. Und Zachäus war auch noch Oberzöllner, also Steuereintreiber für die Besatzungsmacht der Römer. Vielleicht so ähnlich wie jemand, der in der Vichy-Regierung in Frankreich zur Zeit der deutschen Besetzung gearbeitet hat.

Wie kommt dieses beladene Kamel durch das Nadelöhr?

Ein Oberzöllner zu sein, ist ein richtiger Beruf. Nicht irgendein Job, den man erledigt. Das schöne deutsche Wort „Beruf“, das mit Berufung zusammen hängt. Zumeist ist man zu etwas berufen, wenn man vom Typ her, von den Begabungen her, zu dieser Sache, zu diesem Auftrag besonders gut passt. Zachäus war ganz Zöllner, Oberzöllner, Zöllner von Zöllnern. In seiner Peer-Group war er anerkannt und etabliert, unter seinesgleichen erfolgreich, mehr als andere.

Aber Zachäus ist zugleich noch ein anderer. Man sieht ihn, wie einen Buben auf den Baum krabbeln. Man sieht ihn als interessiert an einem schillernden Rabbi, einem Wanderrabbi, der nicht die allgemeine Anerkennung der oberen Klassen der Rabbiner hatte. Mit so einem sollte man in der Position des Zachäus nicht gesehen werden.

In jedermanns Brust wohnen zwei Seelen. Und sie streiten miteinander. Und manchmal, wenn die eine schläft, sieht es so aus, als wäre es nur eine Seele.

Als ich jung war, habe ich eine Ausbildung zum Fernmeldehandwerker bei der Post gemacht. Ich galt als fauler, desinteressiert der Schüler, der mit anderen Leuten abhängt, gekifft hat und irgendwie nicht brauchbar war.

Einmal hat ein anderer Schüler sich für den Kampfsport Karate interessiert und ging zu einer Trainingsstunde um zuzuschauen. Dort sah er jemanden, der überaus engagiert war, und konnte lange nicht glauben, dass ich es war, sein träger Mitschüler. Er hat mir später von seiner Fassungslosigkeit berichtet.

Zwei Seelen, auch in meiner Brust.

Und heute? Gibt es heute auch zwei Seelen in meiner Brust?

Ja, es gibt den einen Andreas, der ganz Jesus folgen will, und alles auf diesen Einen setzen will. Und es gibt den vorsichtigen, sorgenden Andreas. Der Angst hat alles loszulassen jede Möglichkeit eines zurück. Der in der Hingabe sich überfordert fühlt und dem es letztlich an Vertrauen fehlt. Das ist auch der, der sich immer noch um Anerkennung sorgt, um Respekt. Und der mehr Angst davor hat Anerkennung zu verlieren und deshalb lieber im Verborgenen bleibt.

Gestern hatten wir Bartimäus von Jericho, der seine etablierte Rolle als bedauernswerter Blinder aufgegeben hat. Zachäus hatte eine ebenso etablierte Rolle, vom anderen Ende der Skala her.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie beide schon von Jesus gehört haben, über Jesus nachgedacht haben, und in ihrem Herzen ihre andere Seele mit Jesus gefüttert haben. Und als die Sehnsucht dieser anderen Seele groß genug war, da ging Jesus durch Jericho hindurch. Und fast alle Menschen von Jericho blieben dieselben, vorher und hinterher. Aber diese beiden wurden neue Menschen.

Die Geschichte von Bartimäus steht direkt vor dieser Geschichte. Bartimäus erlebte also diese Geschichte mit Zachäus – und sah einen Seelenverwandten. Bartimäus hat Zachäus genau verstanden, und so waren sie ein Herz und eine Seele. In Jesus entsteht eine neue Peer-Group, eine neue Gemeinschaft der ganz Unterschiedlichen, die das eine gemeinsam haben – die Sehnsucht bei Jesus zu sein.

Veröffentlicht in Allgemein

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