Wo schaue ich hin?

Sa 26.11.2022

Lk 21:34-36. Jesu Warnung vor Taumel, um vor Ihm stehen zu können.

Bei diesem Text heute lohnt es sich genauer hinzuschauen, teilweise auch in den Urtext. Bei Luther und anderen scheint es um Fressen und Saufen und sorgen um Nahrung zu gehen.

Beim Wort „Fressen“ steht aber „κραιπάλη‭ kraipále ‭Taumel‭“, Saufen kann auch mit Rausch übersetzt werden und die Sorge um Nahrung ist das Alltägliche (‭βιωτικός‭ biotikós ‭alltäglich von bióo leben).

Ich hatte gestern ein paar Autofahrten zu erledigen. Ich habe dabei ein wenig Berichte im Radio gehört. Und obwohl ich einen neuen Kunden gewonnen habe, und am Abend eine schöne Geburtstagsfeier erlebt habe, hatte ich eine etwas depressive Verstimmung. Von verschiedenen Seiten drückt die Finsternis auf mich ein, wie das Wasser auf ein U-Boot.

Ich habe insgesamt mit vier Männern gesprochen. Alle haben fast ausschließlich über die Energiethematik und ihre Absicherung und Versorgung gesprochen. Biotkós.

In Vers 26 steht das Wort entfliehen. Heißt das nun doch sich von der Welt abwenden?

Vorsicht: Jesus selbst steht zu dieser Zeit in einer ähnlichen Situation. Was tut Er?

Tagsüber steht er im Tempel und lehrt das Volk. Des Nachts aber ging Er hinaus und blieb über Nacht am Ölberg.

Niemand kann am Tage das Volk lehren, der nicht des Nachts am Ölberg betet. Sich des Nachts dem Geist Gottes aussetzt.

Und Jesus nennt sich hier explizit des Menschen Sohn. Er ist hier einer wie du und ich. (Vielleicht darf man sagen: Für die Menschen ist Jesus Gott und für Gott ist Jesus Mensch.)

Dem allen zu entfliehen bedeutet eben nicht, davon nicht betroffen zu sein, sondern im Geist Gottes geborgen zu sein. Und dies ist nicht ein theoretisches Konstrukt. Mindestens in dem Maße, indem mich die Dunkelheit der Welt bedrängt, und sich mein Herz beschwert, brauche ich zeitlich und physisch die Stille vor Gott, in Gott.

Der Ölberg ist ein Berg jenseits der Stadt. Ein dunkler Ort. Es ist nicht der Ort für Stoßgebete. Dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Es ist letztlich der Ort, an dem Jesus Gehorsam lernt (Hebr 5:8). Es ist der Ort, in dem aus einem verzweifelten Leiden an der Welt ein friedvolles Anteilnehmen am Leiden Gottes wird. In diesem Frieden lehrt Jesus im Tempel. Alle andere Lehre ist nur Lärm. Alles Sorgen und Warnen innerhalb der Welt ist wie ein Quirl im Ozean.

Vers 36 nennt noch mal das Stehen vor dem Menschensohn. Das kleine Wort „vor“ ist im Urtext die Antwort auf die Frage „woher“. Mit allem, was am Tage geschieht, sollen wir vor dem Menschensohn stehen. Es ist ein wenig wie bei Odysseus, der sich am Schiffsmast festbinden ließ, um den Sirenen nicht zu erliegen.

Noch ein Wort zum Wachen. Dort steht ein Begriff, der eigentlich davon spricht, dass jemand schlafen möchte, aber nicht schlafen kann. Er kann nicht schlafen, weil er seinen Mangel an Gottes Nähe wahrnimmt. Müdigkeit ist ein Zeichen von Gottesferne. Wir sind würdig zu wählen, zwischen dem Schlaf der Gottesferne, und der Anteilnahme am Stehen des Menschensohnes vor Gott.

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