Binden des Anderen

Mi 01.02.2023

Mk 6:1-6 Jesus kommt in Seine Vaterstadt

Beim Sport habe ich einmal jemanden getroffen, der mit meinem Sohn arbeitet. Er war in gewisser Weise ein Bewunderer meines Sohnes und es fühlte sich überraschend an, jemanden so vertrauten wie meinen Sohn aus der Perspektive eines mir ganz Fremden geschildert zu bekommen.

Wie sehr lege ich meine Familie und nahen Menschen auf das fest, was ich von ihnen kenne und erwarte!

Erfahrungen scheinen uns eine große Hilfe zu sein und zumeist sind sie Grundlage innerer Dogmen. Auch gegenüber mir selbst.

Beim Anderen legen sie nicht nur ihn für meine Erwartungen fest, sondern binden ihn auch faktisch. Jesus konnte dort nicht viel tun (V5).

Ich schade mit meinen Erfahrungen also nicht nur mir, sondern auch dem Anderen – ich binde ihn.

Es ist auch eine Quelle des vielen Redens. Wie oft meine ich, oder mein Gegenüber, schon zu wissen, was der je andere sagen wird. So brauche ich nicht bis zu Ende zuzuhören, sondern sage dem anderen aus meiner Erfahrung heraus, was ich meine ihm sagen zu sollen.

Und der Andere wird zu dem, den ich erwarte, der er sei. Ich binde ihn mit Stricken der Nicht-Erwartung des Neuen.

Ich erlebe, dass der Andere meine Erwartungen bestätigt – weil ich es erwarte. Die Menschen in der Vaterstadt Jesu haben Jesus nicht als den erlebt, der Er war, sondern als den, der ihren Erfahrungen entsprach. Obwohl sie die Jünger sahen und anderes gehört haben.

Es ist ein sehr tief verwurzelter Akt der Lebensverweigerung.

Ich nenne es Lebensverweigerung, weil es die Flucht in die Sicherheit des Erwarteten bedeutet. Und das bedeutet Erstarrung und Ersterben der Lebendigkeit.

Und zwar für beide: für mich, aber auch für den Anderen. So werde ich zur Bürde, zur Enge meines Bruders. Gott wird mich am Ende fragen: Kanntest du eigentlich deinen Bruder?

Ähnliches gilt auch mit meinem Gottesbild, oder von meinem Bild und meiner Erfahrung mit Jesus, mit Maria.

Ich erlebe Dinge mit Jesus – und schon habe ich ein Bild und eine Erwartung von Ihm. Vielleicht ärgere ich mich sogar, wenn ich höre, dass Er für Andere mehr ist als für mich. Er könnte mir fremd werden, wenn er nicht „mein“ Jesus ist, also der, den ich in dieser Weise schon lange kenne.

Erlaube ich Dir, Herr Jesus, für mich Du selbst zu sein? Nicht einfach der, den ich erfahren habe, den ich schon kenne?

Kann und will ich den Frieden der Erfahrung loslassen zugunsten eines Sprunges in eine andere Welt, die mehr Deine Welt ist, als ich bisher dachte?

Du sagst: Übe eben dies an dem Anderen, der bei dir ist. Sei allen ein weißes Blatt, auf dem sie neu schreiben dürfen und sagen, was sie nie gesagt haben.

Ich werde dich überraschen, indem du dann auch mich neu erkennen wirst.

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