Kein Glaube ohne Hoffnung

So 19.03.2023

Joh 9:1-41 Die Heilung des Blindgeborenen

Einführung

Ganz generell gilt: Wer meine Andachten liest oder hört und die Bibel nicht sehr gut kennt, sollte die Bibelstelle zuvor lesen, auf die sich die Andacht bezieht. Hier ist es ein langer Abschnitt, der zusammengehört.

Das Johannesevangelium ist nicht ein Bericht aus Jesu Leben – den gab es damals schon. Johannes berichtet das Evangelium selbst. Er zeugt anhand von Schlaglichtern in metaphysischer Weise von der abgründigen Tiefe der Offenbarung Gottes. Johannes nicht hörend zu lesen, nicht betend und auf kontemplative Weise, verwirrt mehr als es hilft.

Und generell erklärt sich ein Text nicht aus sich selbst. Gerade dieser nicht.

Die „Juden“

Ich habe einmal in Jerusalem an einer jüdischen Stadtführung teilgenommen. Die Frau kannte nicht nur Jerusalem und die jüdische Geschichte, sondern auch das Neue Testament exzellent. Sie war aber keine Christin und ich fragte sie, warum nicht.

In ihrer Antwort verwies sie auf die Judenfeindlichkeit des neuen Testamentes und nannte als Beispiel das Johannesevangelium. Vielleicht war es dieser Text im Besonderen.

Warum sagt Johannes „die Juden“? Alle, die hier vorkommen, sind doch Juden. Der Geheilte, die Kritiker, Jesus, Johannes selbst.

Der Erklärtext der deutschen Bibelgesellschaft vermutet hier historische Gründe mit beginnender Judenfeindlichkeit.

Mir scheint, es ist offenbar, dass es typologisch zu verstehen ist. Es ist „der Jude“ in uns. Überhaupt nicht negativ, sondern der einseitig Glaubende.

Die Pharisäer kennen Mose und wissen, dass er von Gott redet, weil er Gott gehört hat. Sie haben recht. „Woher aber dieser ist, wissen wir nicht“.

Das Johannes nicht latent antisemitisch ist, zeigt auch die Begegnung am Jakobsbrunnen. „Das Heil kommt aus den Juden“, sagt Jesus dort. Und „Ihr wisst nicht, was ihr anbetet“. Mit anderen Worten: Die Juden wissen, was (wen) sie anbeten.

Ich denke, wenn ich damals dort gewesen wäre, ich hätte Jesus nicht erkannt. Ich wäre eher ein Skeptiker gewesen. Wer ist denn jener, der die Ordnungen des Mose nicht einhält? Der einen Sünder gesund macht?

Jesus macht einen Brei aus Seiner Spucke und der Erde Israels. Aus dem Boden, auf dem Er stand – auf dem Israel stand.

In Seiner Leiblichkeit zusammen mit dem Erbe Israels wird das neue geboren. Jemand, der von Geburt blind war, wird sehend. Das sind wir Heiden. Wir sind von Geburt blind. Und unser Heil kommt aus Jesu Wasser und der Erde Israels.

Unverzichtbarer und immer bedeutsamer Boden ist Israel.

Für uns auch: die Kirche, die Tradition. Von den Aposteln, über die Konzile (aus denen z. B. die Trinität kommt), die Kirchenväter und vieles mehr. Von dort kommt das Heil.

Aber zugleich sind wir in Gefahr, die Tradition selbst zu einem Gott zu machen.

Also: Nicht ohne die Tradition – aber die Tradition ist nicht hinreichend. Sie kann sogar eine Gefahr werden, ein Götze.

Der Geheilte offenbart, um was es geht:

“‭Der Mensch‭ antwortete‭‭ und‭ sprach‭‭ zu ihnen‭:‭ Das‭‭ ist‭‭ ein wunderlich‭ Ding, daß‭ ihr‭ nicht‭ wisset‭‭, woher‭ er sei‭‭, und‭ er hat meine‭ Augen‭ aufgetan‭‭.‭”

Die Tradition soll uns die Sehfähigkeit geben, Ihn zu erkennen, wo Er herkommt.

Die Tradition ist die Augensalbe. Der Brei, der aber allein mit der Spucke Jesu heilt.

Was hat das mit mir zu tun?

Glaube wird schnell zu einem Erfahrungsglauben. Dies und das habe ich erlebt und darum glaube ich.

Wenn dieser Glaube nun nicht auf das noch nicht erfahrene wirkt, ist es „nur“ Tradition. Ich lebe dann aus der Erfahrung – nicht aus dem Glauben.

Glaube ist nur lebendig, wenn er hofft. Hoffen, nicht im sprachüblichen Sinn, sondern im existenziellen Sinn. Die Hoffnung wagt etwas, was sie ohne diese Hoffnung nicht wagen würde. Nämlich das Loslassen meiner Sicherheiten aus mir selbst heraus, insoweit ich meine Hörfähigkeit (oder mein Augenlicht) empfangen habe.

Eine gute Frage an den, der sehend gewordenen ist, wäre also: Zeige mir den, der dir das tat, auf dass auch ich sehend werde.

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