So 30.04.2023
Joh 10:1-10 Von der Tür des Schafstalls und dem Hören der Stimme des Hirten.
Der Text von heute bietet Raum für viele verschiedene Deutungen. Dies ist eine.
Der Text beginnt mit einem Dieb und Mörder und endet mit dem Dieb, der nur kommt, dass er stehle, würge und umbringe.
Von wem ist denn da die Rede?
Ich vermute, der genannte Dieb kommt nicht in dem Selbstverständnis eines Diebes daher. Sondern in dem Verständnis eines, der einen „Job“ macht.
Das Wort ist von der Herkunft nicht klar. Aber es ist im Sprachgebrauch eher etwas zu Erledigendes, etwas, mit dem Geld verdient wird.
Das Wort „Beruf“ dagegen fragt nach einem von woanders her berufen sein.
Letztlich ist der Berufene nicht inhaltlich frei. Er hat nur die Wahl der Zustimmung oder Verweigerung.
Das Berufen-sein verbindet den Berufenen mit der Berufung. Also z. B. den Hirten mit den Schafen.
Wesentliche Bestandteile einer Verbindung aus Berufung sind Vertrauen und Dauerhaftigkeit. Die Schafe lernen die Stimme des Hirten. Sie wagen Vertrauen und folgen dem Ruf des Hirten.
Der Hirte vergisst diejenigen Interessen, die sich von denen der Gesamtheit der Herde unterscheiden. Er ist nichts mehr für sich selbst, alles für den Beruf.
Da unser Wesen so ist, dass wir nur als Bezogene ganz Mensch sind, gehört Treue und Verbindlichkeit mehr zu uns als unser Leben.
Wer also dieses Herzstück des Menschseins für eigene Zwecke nutzt – der ist ein Dieb und ein Mörder.
Er muss dazu gar kein Schaf morden. Sondern der Missbrauch der Beziehung selbst ist der Mord.
In einer Welt der Selbstoptimierung wohl ein befremdlicher Gedanke.
Berufung, sei es zur Vaterschaft, zu einem Hirtenamt in einer Gemeinde oder auch einer Berufung zu einem Beruf vollzieht Menschsein.
Und: Das Einbinden persönlicher Interessen tötet – ja mordet – Mensch sein.
Verrat ist letztlich schlimmer als Mord.
Judas war für Jesus schlimmer als Pilatus oder das schreiende Volk („ans Kreuz mit Ihm“).
Jesus hat nie Freundschaft mit einer „roten Linie“ versehen. Im vollen Bewusstsein dessen, was in wenigen Stunden passieren wird, hat Er dem Judas noch im Abendmahlssaal die Füße gewaschen.
Von der Sache her hätte es den „Bruderkuss“ des Judas nicht gebraucht. Aber Jesus nennt ihn selbst in diesem Moment „Freund“.
Getötet werden wir letztlich nur von Freunden – weil Freundschaft das Leben ist.
Freundschaft hier als Platzhalter für alle Berufung, Bezogenheit, Verantwortung.
Die Frage „was habe ich davon“ ist die Frage des Diebes.
Alle Sünde ist letztlich Verletzung von Beziehung (siehe die 10 Gebote). Selbst das Sabbatgebot, das zur Gemeinschaft mit Gott ruft.
Mir scheint, alles Kämpfen, z. B. um Selbstbehauptung in der Ehe oder andernorts, ist eine Diebestat. Ich stehle die Anerkennung, die ich dem Anderen schulde, für mich.
Der große Emanuel Levinas schreibt von diesem Thema.
Ein Gedanke zur Praxis:
Unser Herz flüstert uns ein, dass es nicht genug Kraft für solche Akte der Anerkennung hat. Es brauche „zuerst“ Kraft für sich und könne evtl. dann aus einem Überschuss heraus handeln.
So ist es nicht.
Ohne Glaube bedeutet der Akt nichts. Habe ich einen Überschuss an Kraft, brauche ich keine Liebe mehr.
Und es ist in Wirklichkeit andersherum.
Weil es auch mein Wesen ist, bezogen zu sein, erlebe ich keinen Mangel mehr, wenn ich den Rubikon überschritten habe.
Der Akt gebiert die Kraft – nicht andersherum. Das ist der Unterschied zur Mechanik der Welt.