Nicht allein Opfer

Mi 05.07.2023

Mt 8:28-34 Austreibung vieler Dämonen

Die Geschichte wird hier ein wenig anderes geschildert als bei Lukas (Lk 8:26 ff.).

Es ist ein eigenes Thema über die Bedeutung nachzusinnen, warum es hier um zwei geht.

Auch die Bedeutung des Leibes wird hier deutlich. Dämonen wollen einen Leib. Die Leiblichkeit ist das Zentrum des „großen Krieges“ – wie man heute deutlich sehen kann – dazu ein andermal mehr.

Heute höre ich etwas anderes: „Proxy“.

Proxy kommt historisch von Proconsul. Ein stellvertretend Beauftragter (einfach gesagt). Es lohnt den Begriff genauer nachzuschlagen, auch in seiner Funktion in der Informatik.

Die zwei Besessenen sind Stellvertreter des ganzen Gebietes. Das Gebiet gehört zu Gadara, der mächtigsten Stadt im Zenhstädtegebiet. Die größe der Schweineherde zeigt ein wenig davon. Die Stadt hatte eigene Kriegsschiffe – Repräsentanten der Macht.

Aber eigentlich waren sie von fremden Geistern und Mächten besetzt – genau wie wir heute.

Jesus hat schon auf dem See diese fremde Macht besiegt – und hier diesen Sieg vollendet.

Jetzt ist dieses Land frei – es kann sich ohne geistige Hypothek für Ihn entscheiden.

Tut es aber nicht.

In aller Ruhe und mit Respekt und Vernunft bitten sie Ihn ihr Gebiet zu verlassen.

Keine Ausrede mehr

Das Schlimmste ist, keine Ausrede mehr zu haben. Wenn jemand, z. B. in der Seelsorge, bemerkt, dass es nun ganz in seiner Hand liegt, sich seiner Verantwortung zu stellen, geschieht die große Scheidung.

Vorher war er auch Opfer. Opfer der Geschichte, der Gesellschaft, der Biografie. Nun aber: Du, du allein.

Menschen suchen lieber den Teufel als die eigene, freie Entscheidung (um es bildlich zu sagen).

Es sind Proxy Kriege. Stellvertreter.

Geht es nicht zumeist darum, wer ich bin?

Bin ich Ich – oder habe ich mich so mit meinem Avatar, mit meinem Ersatz-Ich identifiziert, dass ich dieses „Ich“ am Leben erhalten will – selbst wenn ich dabei sterbe.

Die Frage ist: „Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht XY bin?“

Und XY steht z. B. für Sorge, Leid, Krieger sein, Bitterer-sein oder gar Böser-sein.

Oder Starker, Schöner, Kluger, Recht-habender, …

Ich erlebe es oft. Menschen jammern über ihre Probleme, können sich aber ein Leben ohne diese Probleme garnicht vorstellen. Sie jammern über ihre Süchte und Abhängigkeiten – haben aber nichts Sonstiges, was sie „eigentlich“ sein wollen.

Wenn Ihnen ihre Dämonen genommen werden ist alles leer und sie weisen diese Leere zurück. Sie erkennen die sehr zarte Pflanze der je eigenen Bedeutung in der Bezogenheit nicht – oder sie kommt ihnen zu mickrig vor.

Oder: Die Nacktheit des Selbst-seins macht ihnen Angst. Im Stellvertreter habe ich mehrere Leben (wie in einem Computerspiel). Stirbt z. B. die eine Sorge, suche ich mir eine neue Sorge.

Im nackten Selbst geht es um Sein oder Nicht-Sein. Ich stehe allein auf der Bühne und es geht allein um meine Entscheidung in Selbstverantwortung.

Die Menschen verhalten sich wie in dem kuriosen Satz: „Wer keine Ausrede mehr hat, wird erschossen“. Sie kämpfen um Begründungen, als ginge es um ihr Leben.

So erlebe ich auch mich.

Ohne Ausrede beichten?

Eigentlich möchte ich gern zunächst alle Argumente für mein Verhalten nennen und es so abmildern.

Einfach so beichten – ohne jede Erklärung?

Noch einmal zu dem Satz: Sie kämpfen um Begründungen, als ginge es um ihr Leben (als würden sie sonst erschossen).

Und es ist so.

In dem Kampf, in der Ausrede, verschiebe ich das Urteil.

Aber genau genommen ist das Nicht-stehen zu dem Eigenen, besonders zur eigenen Schuld, genau der Tod, vor dem ich mich fürchte.

Denn es ist der Tod des Selbst. Bin ich in nichts verantwortlich, bin ich als Mensch, als „Per-sona“ nicht existent (siehe Bedeutung von Person an anderer Stelle).

Ja, es gibt die Dämonen der Biografie, der Gesellschaft, vergangener Fehlentscheidungen. Ja.

Aber nicht nur: Ich bin nicht „nichts als Opfer“. Ich bin immer auch frei, mich dazu zu stellen. Den Augenblick zu nutzen, in den Gott mich stellt und mir ebendiesen Freiraum gibt.

Ich bin nicht allein Opfer – sondern viel, viel mehr.

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