Wer bist du ohne all das?

Fr 04.08.2023

Mt 13:54-58 Jesus hat in Seiner Heimatstadt wenig Anerkennung.

Ich baue auf, auf die Andacht vom 24.07.2023, „Die Sünde der Frommen“.

Die Menschen, die meinen Jesus zu kennen, die Sein Reden ins Verhältnis zu dem setzten, was war, was sie schon wissen.

Wer bin ich?

Wer schon lange Christ ist – oder auch schon lange nicht Christ ist, der meint, er hätte Erfahrung. Erfahrung scheint unser starker Schutz, unsere starke Waffe.

Aber sie ist ebenso ein Ort der Gefangenschaft.

Wer viel Erfahrung hat, wer viel weiß oder sich z. B. für etwas sehr aus dem Fenster gelehnt hat, der hat viel zu verlieren. Alles Neue, das dies infrage stellt, ist ein Angriff auf meine Burg, auf mich.

Junge Menschen können darum meist leichter sterben als solche, die viel zu verlieren haben. Darum riskieren sie oft auch so viel.

Gestern haben wir den Film „Still Alice“ gesehen. Er handelt von einer Linguistikprofessorin, die mit 50 Jahren an einer frühen Form von Alzheimer erkrank.

Sie hat viel zu verlieren, sehr viel. All ihr Wissen, gerade um das Thema Sprache. Besonders aber ihren Selbstwert. Denn wer bin ich, wenn nicht der, um den ich mein Leben gekämpft habe, dieser zu sein? Was liebt denn mein Mann noch an mir, wenn ich all das verliere – und was sollte ich von mir selbst halten, gar mögen?

Jemand sagt einmal im Blick auf einen dementen Angehörigen: „Das ist nicht mehr der und der – das ist nur noch seine Hülle“.

Wer bin ich, wenn ich nicht (mehr) mein Wissen, Können, meine Erfahrung und mein Beruf bin. Wenn ich nicht mehr der bin, dessen Rolle ich immer gespielt habe – ja, dessen Rolle ich war?

Angst ist verknüpft mit einem Wert. Für mich ist es sehr schwer, meine Angst, besonders vor Demenz, aufzugeben.

Aber alles Haben ist das Gegenteil von Armut. Entbehren von allem, was ich zu mir rechne. Vor allem meine Ehre.

Kann ich zu Jesus sagen: „Du nimmst mich so an, wie ich bin – selbst wenn ich nicht mehr der bin, der ich bin?“

Kann ich so viel „Nacktheit“ aushalten?

Wer ist nun der Andere für mich?

Wenn ich etwas bin, das man benennen kann. Mein besonderes Denken, meine Erfahrung in der Fülle dessen, das schon erlebten – dann schaue ich ebenso auf den Anderen.

Wer wäre der Andere, wenn ich ihn unter Absehung all dessen anschauen würde? Wer ist er, wenn er seine Burg verlassen würde.

Würde ich ihn den respektieren, mich für ihn interessieren, ihm zuhören und ihn vielleicht sogar lieben können?

Wenn nicht, dann werde ich ihn in seiner Burg, in seiner Einsamkeit belassen – wie es alle Tage geschieht.

Was erlaube ich, wer du, Bruder, für mich bist?

Was sehe ich, wenn ich vorbeischaue an deinem Wissen, deiner Schönheit, deiner Stärke, deiner Erfahrung, deinem Charisma, deinem Erfolg?

Aber auch an deinem Murren, deinem Kämpfen, deinem Verstecken?

Wenn ich dir nicht zugewandt bleibe in all dem – dann bleibt dir nichts, als deine Einsamkeit.

Hinterlasse einen Kommentar