Das Ziel erreichen

Mo 21.08.2023

Mt 19:16-22 Vom Mann, der mehr tun wollte

Der Mann will das ewige Leben haben. Er fragt Jesus. Jesus nennt ihm die Gebote, ganz konkret. Er fragt: Was fehlt mir noch?

Und Jesus nennt den Verkauf des Besitzes und den Eintritt in die Nachfolge. Daraufhin geht der Mann traurig weg – denn er hatte viele Güter.

Am Freitag öffnete sich für mich die Tür zu einer deutlichen Verringerung meines Einkommens.

Ich weiß sicher, dass mir Gott nur Dinge schickt, die gut sind. Es wäre noch gar keine echte Armut, weit entfernt von der franziskanischen Besitzlosigkeit.

Ich weiß und will die Freiheit dazu – aber etwas in mir mault rum und sendet immer wieder Gedanken der Hoffnung, es käme anders.

Warum ist eine Verarmung so beunruhigend?

Ein paar Gedanken:

  • Es ist eine strukturelle Machtlosigkeit. Ich kann meine weltliche Wirksamkeit nicht mehr freiwillig loslassen – ich KANN sie nicht mehr vollziehen.
  • Weniger Erfolg sagt dem Selbstbewusstsein: Wie bist du denn mit deinen Gaben umgegangen? Faktischer Erfolg ist wie ein Beweis, der das geistige Selbstvertrauen absichert.

Viele andere Aspekte scheinen mir damit im Zusammenhang zustehen.

Es gibt ein geistiges „Spielbein“. Damit kann ich viel Gutes tun.

Und es gibt ein geistiges Standbein. Das tut nichts für andere, sondern für mich.

Und schaue ich auf dieses Standbein, spüre ich: Am Ende bin ich doch immer mein eigener Gott. Ich möchte wissen, dass dieses Standbein fest steht und kämpfe darum.

Gerade gestern habe ich es auch in einem Gespräch erlebt. Alles für Jesus, solange Er nicht meine Existenz, meine Sicherheit, meine Selbstwirksamkeit antastet.

Es ist ein Streit zweier Geister in mir.

Und ich habe doch schon mehrfach erlebt, dass das Loslassen aller Sicherheit nicht mein Untergang ist – im Gegenteil.

Kann eigentlich ein guter und reicher Mensch mehr gutes tun als ein guter und armer Mensch?

Derselbe Mensch hat in seinem Reich-sein eine Begrenzung. Ebendieser kann das weitergehende Gute als reicher Mensch nicht mehr tun. Das ist klare Botschaft dieser Worte von Jesus.

Sogar noch schärfer:

Zunächst scheint es, Jesu gäbe dem Mann Hinweise, wie er im Vollzug des Gesetzes das ewige Leben erreichen kann.

Der Mann tut ja alles, was Jesus als Bedingung genannt hat.

Aber so ist es nicht.

Jesus führt ihn an den Punkt, wo der Mann von sich aus bekennt, dass ihm noch etwas fehlt. Im Vers 20 redet er von dem, was ihm noch mangelt. Das Wort ist ὑστερέω‭ hysteréo ‭ist ermangeln‭. Das letzte, was fehlt.

Es geht nicht um ein Sahnehäubchen. Es geht um mehr.

Im Vers 21 steht in meiner Lutherübersetzung: Willst du vollkommen sein. Und es ist τέλειος‭ téleios ‭vollkommen, im Sinne von Ziel erreichen.

Niemand nützt es letztlich, einen Weg gegangen zu sein, aber das Ziel nicht erreicht zu haben.

Es ist etwa so, als würde jemand „fast nicht gestorben“ sein.

Es erinnert an die Verhandlungen im Angesicht einer tödlichen Gefahr. Man ist nun bereit, alles zu geben – wenn man nur sein Leben behalten darf.

So wirft der Mann alles Gut-sein in die Waagschale – vielleicht kann er das eine behalten. Und das eine ist die Kontrolle über das eigene Leben.

Ich auch?

Gott hat schon einmal existenzielles von mir gewollt und ich habe nach langem Zögern eingewilligt. Und ich bezeuge: Gott ist überwältigend gut.

Im Laufe der Jahre umschlingen mich die Annehmlichkeiten des Lebens immer neu. Und ich zucke, wenn die Rosenschere auf mich zukommt.

Ach, dass ich doch allezeit willig bin, mein Sterben schon vor dem Tod anzunehmen.

Solange Gott mich an der Hand hält, während ich meinen Weg gehe, spüre ich Ihn nur wenig. Erst indem ich „im finsteren Tal“ allein noch Seine Hand spüre und meinen Weg nicht mehr kenne, erlebe ich Seine Freundschaft ganz.

Eine Frau schreibt einer anderen und ermutigt sie, ganz auf Gott zu vertrauen. Genau in dieser Frage der Armut und der Machtlosigkeit, mitten im finsteren Tal.

Heute lese ich diesen Brief von Klara an Agnes mit den Augen danach:

Die Heilige Klara von Assisi schreibt der Heiligen Agnes von Prag. Und die Wirkungsgeschichte dieser beide Frauen der Armut ist kaum zu ermessen.

Haben wir nun solch eine Wolke von Zeugen um uns … (Hebr. 12:1 ff).

Ich bin erst am Ziel, wenn ich allein auf Ihn vertraue.

Ein Kommentar zu „Das Ziel erreichen

  1. Irgendwie lustig, dass wie gerade dasselbe erleben. Ich habe heute meine Arbeitstelle im Hotel verloren. Auf der einen Seite bin ich froh darum, weil ich unter den gegebenen Umständen nicht mehr weiterarbeiten kann, auf der anderen Seite kommt gleich die Sorge – was ist, wenn mein Mann seinen Rentnerjob auch noch verliert?
    Aber die Freude über die gewonnene Freiheit wird von Stunde zu Stunde grösser und etwas löst sich in mir (vielleicht etwas, was mich schon lange drückt? )
    Das jedenfalls scheint mir wichtiger zu sein, als alles Geld und die damit verbundenen Annehmlichkeiten.
    Unser Freund, der nach einen Herzstillstand gerade in der Reha ist, hat mir – ebenfalls heute – einen Job als Haushaltshilfe und angeboten 🙂
    Wir werden es immer schaffen, miteinander, füreinander. Alles hat seine Zeit.
    Ich wünsche dir Zuversicht und Freude.
    Brig

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