Do 12.09.2024
Lk 6:27-38 Ausführliche Rede Jesu zur Feindesliebe.
Fast gleich – fast gleich?
„Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“. Ist doch fast so wie: „Was du vom anderen erwartest, das tue auch ihm“ (Mt 7:12).
Wirklich?
Meine Enkelin hat es das erste als „christliche Regel“ gelernt. Klingt doch ähnlich.
Ist aber in etwa das Gegenteil.
Der erste Satz wird am besten durch Distanz erfüllt. Es fokussiert auf mich. Ein Nicht-tun ist das Ziel. Nicht-tun ist aber das Gegenteil von Liebe.
Jesu Satz fordert zur Liebe auf. Denn ich selbst will geliebt werden – dies soll ich nun dem anderen tun.
Ich nenne dieses Beispiel, weil ich sehe, wie schnell Menschen dies beides als ähnlich empfinden – und das ist vielleicht das größte Problem.
Ich habe keine Feinde
Also liebe ich die, die mir nahe sind, die mich lieben und „gut is“.
Mir scheint, diesem Gedanken liegt dieselbe Stumpfheit zugrunde wie dem obigen. Denn erst, wenn ich nicht mehr neutral gegenüber anderen bin, die nicht meine Freunde sind, spüre ich mein Desinteresse an ihnen.
Und das ist das Problem. Ich nehme meine Lieblosigkeit im Alltag nicht wahr – darum spüre ich auch nicht, wer meinem Herzen Feind ist.
Genauer: wen ich zum Feind erkläre. Wen ich durch ignorieren aus meinem Herzen verbanne.
All die Menschen, die eigentlich nahe sind, mich aber nicht interessieren.
Ich tue ihnen nichts – aber ich meide zu viel Nähe.
„Nicht gehasst ist genug geliebt.“
(Analog dem Motto: „Nicht geschimpft ist genug gelobt“.).
Schlimmer als nicht hassen ist gleichgültig sein!
Schmale Wahrnehmung
Viele Menschen denken, es stünde nicht so schlecht um sie. Sie haben niemanden Erschlagen und sind keine schlechten Menschen. Vielleicht keine Heiligen – aber wer ist das schon, das geht ja garnicht.
Darum weiß ich dann auch nicht, warum Gott mir viel vergeben muss. Schon garnicht für mich sterben – das is wohl so ein Gott internes Ding.
Ich erkenne mich selbst nicht – darum erkenne ich auch nicht, dass ich nicht liebe. Denn die Liebe eines Christen fängt zwar beim Vergeben an – hört da aber überhaupt nicht auf.
Wen kann Gott mir denn aufs Herz legen, wenn ich die, die schwierig sind, komisch sind, zum Kopf schütteln sind, einfach meide?
Wem soll Er sie aufs Herz legen?
Ebenen der Herrlichkeit
Wenn es geschieht, dass ich Gott an mich lasse, spüre ich über die Maßen meine Unwürdigkeit und Schuld. Wenn ich Gott fürchten lerne, dann erst lerne ich auch Seine Gnade. Gott ist heilig – und niemand kommt einfach so in den Himmel, nur weil er gestorben ist! Das denken scheinbar fast alle Christen, die ich kenne.
Zuerst also: Gottesfurcht.
Dann, ganz nahe: Gottes Zuwendung, Seine Freundlichkeit, Sein: Fürchte dich nicht.
Sie gilt nur dem, der sich zuvor gefürchtet hat – alle anderen kennen Gott nicht.
Dann sehe ich Sein Tragen über all die Jahre meiner Selbstsucht und der schlimmen Taten gegen Menschen und Gott. Ich fasse es nicht, dass Er solch einen Menschen wie mich überhaupt anschauen mag.
Dann, eines Tages, kommt Er zu mir und sagt: Ich beteilige dich an meinem Werk. Zunächst denke ich, Er meint damit Seine Botschaft.
Dann aber: Sein Werk, in dem Jesus mir Bruder wird.
Das lieben des Feindes, wie ich einst Feind Gottes war (Achtung: Feind ist identisch mit Gleichgültig!).
Der streitende Feind ist weniger das Problem – der fast erstorbene, dickhäutige, gleichgültig, zurückgezogene ist der Schmerz Gottes. Nun ist er auch mein Schmerz.
Ganz konkret gehe ich z. B. in der Seelsorge mit den Menschen zu ebendiesen, dem Bruder, zu dem man keinen Kontakt mehr hat, dem Stiefvater, den man meidet usw.
Vergebung ist nicht genug
Und oft vorschnell. Denn Vergeben bedeutet das Böse nicht zurechnen. Das Böse ist Distanz – weniger die böse Tat.
Wie liebt z. B. eine Frau ihren Mann, der eigentlich nur seine Arbeit liebt?
Wie liebe ich jemanden, der nur sich selbst liebt und die Welt?
Es reicht nicht, ihn nur nicht abzulehnen.
Sondern Gott erhebt mich zu sich selbst und teilt in unfassbarer Gnade Sein Herz mit mir. Und in diesem Geschehen liegt das Heil der Welt.