Do 28.11.2024
Lk 21:20-29 Das Ende Jerusalems; das Kommen des Menschensohns
Der Text
Wenn das Heer um Jerusalem ist, gilt es, die Stadt zu verlassen. Es kommen die Tage der Vergeltung. Große Wehrufe. Bis die Zeiten der Heiden sich erfüllen.
Zeichen an Sonne, Mond und Sternen. Großes Bangen der Völker. Die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen.
Dann: der Menschensohn auf einer Wolke, mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
Ein Schlüssel von zweien.
Mir scheint, der Text erklärt sich nicht aus sich selbst. Sondern er braucht einen zweiten Schlüssel.
Ich habe den zweiten Schlüssel nicht – und betrachte deshalb einfach diesen Schlüssel – vielleicht kann ich an ihm ein wenig vom zweiten Schlüssel ahnen.
Vergeltung
Ein dunkles Wort, das wohl zumeist falsche Assoziationen weckt.
Wir sind nicht im Wilden Westen und auch nicht im Krieg – sondern vor Gott.
Mithilfe der Septuaginta (LXX) kann der Raum der hebräischen Bedeutung des griechischen Wortes erkundet werden.
Es geht um das Wort nakam, z. B. in 5.Mo 32:35 „Mein ist die Rache“. An anderer Stelle auch direkt das Analoge zur Vergeltung (Pe’ula). Dann aber auch um Schalom, in Ps 94,1.
Schalom, das sowohl Frieden als auch Vollständigkeit bedeutet.
Mir scheint Vollständigkeit der mögliche Schlüssel.
- Das Zusammenbinden aller losen Fäden.
- Das Ende der Epoche der Kredite.
- Der Schlussstrich.
Eigentlich das Ende der klassischen Bedeutung der Zeit. Der Zeit als gedehnter Raum der Entscheidung. Der aktuelle Stand der Dinge ist nun die endgültige Grundlage für das Neue. So wie der persönliche Tod dies ist – wenn auch nicht in identischer Weise, (denn es gibt die Fürbitte für Verstorbene).
Gott schaut nicht mehr zu, verhandelt nicht mehr, wie er es mit Abraham im Blick auf Sodom tat.
Dies wirft ein Licht auf das Nächste.
Die Kräfte des Himmels
Selbst die Kräfte des Himmels kommen ins Wanken.
Die alte Ordnung offenbart ihre Endlichkeit. Sie reißt auf für eine neue Ordnung.
Welche Kraft des Himmels?
Vielleicht: die Kraft der Verbindung der Erde mit dem Himmel. Die Kraft der Engel, die zu den Menschen gehören. Der Fürbitte, des Fürleidens, der Bekehrung, der Wirkung des Salzes.
Dazu gehört folgender Aspekt:
Verlasst Jerusalem
Zwar beginnt der Text offensichtlich mit dem, was aus heutiger Sicht schon geschah. Die Zerstörung Jerusalems 70 nach Christi.
Aber was ist das Bild?
Das Bild ist die bis dahin geltende Ordnung, dass ein Prophet nur in Jerusalem sterben soll. Dass Israel der vorgeschattete Leib Jesu ist. Das Gott nur der Gott Israels ist. Damals ein Schatten – dann das Eigentliche.
Und tiefer: Dass alle offenen Fragen im Kreuz Jesu eine Antwort finden.
Und heute?
Heute ist die Kirche Jerusalem.
Und ich sage an allen Orten: Es gilt, in der Kirche zu bleiben, denn die Kirche ist der verwundete Leib Jesu. Es ist eine Ordnung des Himmels.
Hier aber: Verlasst Jerusalem.
Es wird eine Zeit geben, in der es gilt, „ins Gebirge zu fliehen“ (Vers 20). Das Gebirge ist Ort des Gebetes. Aber auch Ort der Einsamkeit.
Eine kurze Zeit, in der Gebet und Verfolgung das Zeugnis sind – nicht mehr eine sichtbare Einheit.
Ich sehe diese Zeit noch nicht.
Und mir scheint, wir sind ganz in der Hand Gottes, darauf zu vertrauen: Er wird zeigen, wann es ist.
Auskaufen der Zeit
Als ich nach Israel gereist bin, habe ich meine Dinge geordnet.
Ich will nicht wiederkommen müssen – sondern frei in der Hand Gottes sein.
Wie oft habe ich in meiner Zeit der Krisenintervention erlebt, dass Menschen vor dem plötzlichen Tod eines nahen Menschen noch in ungeklärten Konflikten verstrickt waren. Dinge, die man meinte, noch klären zu können.
Wenn Gott Bilanz zieht, ist es wie es ist – kein Raum mehr für Buße und Vergebung.
Darum: Solange es noch Licht gibt, solange es noch Raum zum Wirken gibt, will ich verbinden, heilen, vergeben, dienen – eifern um den letzten Faden des himmlischen Teppichs.
Ich betrachte die Worte des Lukas – sie sollen mich von Jesus her verändern.