Um-Wurzelung

Mo 30.06.2025

Mt 8:18-22 Vom Ernst der Nachfolge

Der Text

18 Als aber Jesus die Volksmenge um sich sah, befahl Er, ans jenseitige Ufer zu fahren.

19 Und ein Schriftgelehrter trat herzu und sagte zu Ihm: „Meister, ich will Dir folgen, wohin Du auch gehst.“

20 Und Jesus sagt zu ihm: „Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels Nester, doch der Sohn des Menschen hat nicht, wo Er Sein Haupt hinlege.“

21 Ein anderer aber von den Jüngern sagte zu Ihm: „Herr, erlaube mir zuerst hinzugehen und meinen Vater zu begraben.“

22 Jesus aber sagt zu ihm: „Folge Mir nach, und lass die Toten ihre Toten begraben.“

Jüdisches Denken

Unsere Zeit und unsere Kultur ist schon einigermaßen entfernt von der, in der Matthäus schreibt. Heimat ist in Israel mehr als bei uns. Füchse und Vögel sind eher negativ im Bewusstsein.

Tote zu begraben, ist im Judentum eines der höchsten Gebote: hebräisch: כְּבוֹד הַמֵּת, Kevod haMet, „Ehre für den Toten“.

Der Messias – Er hat keinen Ort, Sein Haupt zu betten. Das ist der Empfang der Menschen für den großen Liebenden. Für den König der Juden, wie anders hat man Ihn erwartet!

Für uns nicht so schwer, wir kennen Ihn nicht anders – aber Israel erwartet jemanden anders.

Dass sich dort überhaupt Jünger fanden, ist verblüffend.

Und wir?

Wir haben ein „Welcome-Team“ und begrüßen Besucher mit einem Kaffeegutschein.

Und ist denn nicht die Gemeinde Gottes ein köstlicher Ort. Ein Ort, in dem sich alle wohlfühlen sollen? Ist es nicht Vorgeschmack des Himmels? Ein lieblicher Ort des Friedens?

Wohin das führt, sehe ich an den großen Kirchen. Sie biedern sich theologisch an den Zeitgeist an – und die Kirchen sind leer.

Kommt es denn nicht allein darauf an, dass einer „drin“ ist. Freikirchlich gesagt: „Gerettet“.

Jesus redet und handelt, als wenn Er auch die letzten Sympathisanten vergraulen will.

Warum reden wir so?

Wir bauen uns eine Theologie, die zu uns passt.

Da, wo ich bin, ist es richtig. Vielleicht habe ich am Anfang einen Schritt gemacht – nun aber definiert sich „richtig“ an dem, wo ich stehe. Es kann auch nicht sein, dass ich nicht gerettet bin – schließlich „glaube“ ich doch. Und das muss doch reichen. Sagen auch die anderen. Die, die auch „richtig“ sind.

Wer etwas anderes sagt, stört den Frieden. Der kann nicht ganz richtig sein – oder?

Ich sage: Dort, wo ich mich bestätigt fühle, dort lerne ich nicht. Dort ist auch nicht Gott. Gott ist da, wo es mir gegen den Strich geht.

Schon Leben ist da, wo der Widerstand ist – wie sollte es bei Gott weniger sein?

Das Herz sehnt sich nach dem „Flow“ – das Leben aber nach einer kalten Dusche.

Ich habe manchmal ein wenig Rückenschmerzen. Mein Geist sagt: Setz dich aufrecht hin – mein Körper sagt: Das tut aber weh.

Je mehr ich in der Schonhaltung lebe, desto schwächer werde ich – und alles kommt mir noch viel unmöglicher vor.

Prophetisches Predigen

Jesus redet an einer Grenze zwischen verständigem „abholen, wo man steht“, und unfassbarer Überforderung.

Das kann Er, weil er zum einen ganz im Hören ist, weil er ganz in der Wahrheit ist und weil er den, den Er so hart angeht, mehr liebt als wir denken.

Das halte ich für die Grundbedingung für Therapie, für Gespräche und Begegnungen.

Und schon allemal für Predigen.

Wenn ich überfordere, wirklich überfordere, dann sind das oft diese Gründe:

Willkür, Eitelkeit, Lieblosigkeit.

Und die Lösung, die ich und so viele wählen:

Damit ich nicht überfordere verzichte ich nicht auf Willkür, Eitelkeit oder Lieblosigkeit – sondern auf die Forderung selbst.

Wenn ich sage: Tu das und das. Oder: Das und das wäre besser oder richtig. Ich schaffe es aber auch nicht, und „ich bin der Erste unter den Sündern“.

Dann stehe ich da.

Ich predige dann nicht Wahrheit, denn Wahrheit erkennt man an der Wirksamkeit.

Ich predige auch nicht wahrhaftig – denn wahrhaftig bin ich, wenn meine Worte und mein Leben zusammenpassen.

Ich predige schöne Theorie mit der Botschaft: Hat ohnehin keinen Zweck, und es würde auch der Gnade das Wasser abgraben.

Oder in der Therapie: Solange ich nett zu dir bin, wirst du mich nett finden, mich bezahlen und empfehlen. Die Versuchung, dem Denken darüber Raum zu geben, wie ich beim anderen dastehe, ist enorm groß. Ich bin doch in derselben Welt verwurzelt wie jener.

Eine Ansprache von diesseits der engen Pforte nützt aber wenig. Gehe zuerst selbst hindurch, bevor du vom Jenseits redest, Andreas.

Vielleicht hat vieles davon die „billige Gnade“ gemacht (siehe Bonhoeffer).

Gnade ist jedoch eine offene Tür – kein Fahrstuhl.

Gern, sehr gern würde ich noch etwas nettes sagen – aber ich spüre keine Erlaubnis dafür.

Und bitte: Das ist der Anspruch, der für mich gültig ist.

Und ich kann ihn nicht vermeiden, indem ich schweige – sondern indem ich mich ihm stelle.

(Die Überschrift lasse ich – sie ist eine eigene Andacht)

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