Worte ohne Antlitz

Di 15.07.2025

Mt 11:20-24 Jesu Wehrufe über galiläische Städte

Der Text

20 Dann fing Er an, die Städte zu schelten, in denen die meisten Seiner Machttaten geschehen waren, weil sie nicht umgekehrt waren:

21 Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Bethsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Machttaten geschehen wären, die unter euch geschehen sind – sie hätten längst Buße getan in Sack und Asche.

22 Doch Ich sage euch: Für Tyrus und Sidon wird es erträglicher sein am Tag des Gerichts als für euch.

23 Und du, Kapernaum – wirst du etwa bis zum Himmel erhoben? Bis zum Hades wirst du hinabgestoßen! Denn wenn in Sodom die Machttaten geschehen wären, die in dir geschehen sind – es wäre geblieben bis zum heutigen Tag.

24 Doch Ich sage euch: Für das Land Sodom wird es erträglicher sein am Tag des Gerichts als für dich.

Anmerkungen zur Peschitta :

„Wehe“ – intensive Klage oder Anklage

„Sack und Asche“ – Reue und Staub

„Tag des Gerichtes“ – feststehender Ausdruck für das Endgericht

Sodom

Die Assoziation mit Sodomie ist nicht hebräisch!

Stattdessen steht Sodom für maßlose Gewalttätigkeit und Unterdrückung der Schwachen und kollektive Verstocktheit gegenüber göttlicher Warnung (hauptsächlich rabbinische Tradition).

In Hesekiel 16,49 finde ich:

„Siehe, dies war die Schuld Sodoms, deiner Schwester:

Hochmut, Überfluss an Brot und sorglose Ruhe hatte sie und ihre Töchter – aber der Hand des Armen und Bedürftigen half sie nicht.“

Überfluss an Brot – ich schaue auf die Geschirrrückgabe im Café Schrader -.

Kapernaum

Jesus weiß schon vor Seinen Wundern in Kapernaum, was mit dieser Stadt ist. Er kennt ihre Verstocktheit.

Darum sucht Er sie auf und leistet ihr alle Hilfe, die noch möglich ist.

Er steht nicht mit verschränkten Armen da und schüttelt mit dem Kopf über diese Stadt, die direkt in Seiner Nähe ist, vermutlich vor Ihm. Den Ort Seiner gewählten Heimat.

Es ist ein Ausdruck der inneren Bewegtheit, des Interesses an der Stadt, ein Leiden am Gericht – keine Genugtuung.

Die Linie der Armut

Noch nie waren die Zeiten wie heute, was die materielle Armut betrifft. Armut im Sinne von Hunger und materieller Unterversorgung ist in Deutschland objektiv selten, und in der Regel gibt es andere Gründe, wenn jemand ohne Obdach lebt.

Das war zu biblischen Zeiten gänzlich anders – und das gilt es ernst zu nehmen. Der Arme war der Standard. Und er zog nicht mit seinem Fahrrad umher (unser Obdachloser vor Ort) sondern arbeitet soviel er konnte, bis zum Umfallen, um dann dennoch zu hungern. Denn die schiere Anzahl der Mäuler, die es zu Hause zu stopfen galt, verschlang alles und schrie doch weiter.

Dagegen wissen wir in Deutschland nicht, was Armut ist.

Auch die Mehrheit der Menschen damals konnte nicht aus einem Überfluss abgeben. Abgeben war zumeist ein Opfer von etwas, was ich selbst wirklich benötige. Gerade, wenn es um Witwen oder gar Waisen ging. Wie soll ich denn ein Waisenkind aufnehmen, ohne dass meine eigenen Kinder noch mehr hungern.

Ich sage dagegen (schon lange): Die Armut meiner Zeit ist die Einsamkeit.

Es ist der ewige Small Talk und das Betäuben des Herzens mit leerer Weltlichkeit.

Der Kult des Selbst – >gegenüber einer existenziellen Bezogenheit.

Die fehlende Bereitschaft füreinander zu stehen, aufeinander zuhören, den anderen höher zu achten als sich selbst.

Treffen sich Menschen, reden sie über Autos, Urlaub und Häuser.

Aber ich weiß, besonders als Seelsorger – unfassbar, was an Einsamkeit, seelischem Leid und tiefen Verletzung in den Herzen der Menschen da ist und dort sein brennendes Unwesen treibt.

Mediale Einsamkeit

In den Medien wird es besonders deutlich: Es gibt viele Ansprachen und jeder kann sich überall äußern.

Aber ohne Haut und Fleisch.

Es sind „Worte ohne Antlitz“.

Die KI hat es mir schön formuliert:

„Einsamkeit im Digitalen.

Nie zuvor war die Welt so vernetzt – und so beziehungslos.

Wir „sehen“ einander, ohne einander zu sehen.

Wir „teilen“, ohne zu empfangen.

Wir sind „erreichbar“, ohne erreichbar zu sein.

Soziale Medien schaffen Kontakte ohne Begegnung,

Oberfläche ohne Tiefe, Worte ohne Antlitz.

Die Fähigkeit zur wahrhaftigen Berührtheit geht verloren.

Und das ist: Armut.“

Zuerst

Viele denken: Zuerst muss man leben, überleben – dann kann man all das andere. Dann kann man etwas geben, auch mal zuhören, das Leben mit Inhalt füllen.

Ich sage: Wenn ich nicht ZUERST gebe, zuhöre, berühre, aufmerke – dann wird mir das Überleben-Wollen zum Gericht werden.

Gott kann jeden ernähren – aber die Begegnung kann Er nicht für uns machen.

Alles, was Er gibt, schafft schon den Raum, in dem ich leben kann. Göttlich leben – das heißt Für-Leben.

Nicht so sehr materiell, sondern von dem je eigenen Durchsetzen her. Dem eigenen vorkommen wollen.

Ich bin Christ – ich benötige keine Aufmerksamkeit mehr.

Ich habe einen Überschuss davon. Ich kann geben, denn ich empfange täglich.

Ich brauche keine Liebe für mich – sondern nur für uns.

Gericht ist das Ergebnis der Zielverfehlung.

Nicht das Ergebnis moralischer Fehler.

Das Ziel ist das rechte „zuerst“.

Ein Antlitz spricht, weil es mir nahe ist – auch ohne Worte.

Hinterlasse einen Kommentar