Geschichten statt Logik-Systeme

Do 04.09.2025

Lk 5:1-11 Der Fischzug des Petrus

Der Text

Aus dem griechischen Urtext.

1 Es geschah aber, als die Menge auf Ihn drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand Er am See Gennesaret.

2 Und Er sah zwei Boote am See liegen; die Fischer aber waren aus ihnen ausgestiegen und wuschen die Netze.

3 Und Er stieg in eines der Boote, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land hinauszufahren. Und Er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.

4 Als Er aber aufgehört hatte zu reden, sprach Er zu Simon: Fahre hinaus auf die Tiefe, und lasst eure Netze zum Fang hinunter!

5 Und Simon antwortete und sagte: Meister, wir haben uns die ganze Nacht hindurch bemüht und nichts gefangen; aber auf Dein Wort will ich die Netze hinunterlassen.

6 Und als sie dies getan hatten, schlossen sie eine große Menge Fische ein, und ihre Netze rissen.

7 Und sie winkten ihren Gefährten im anderen Boot, dass sie kämen und ihnen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote, so dass sie zu sinken begannen.

8 Als aber Simon Petrus das sah, fiel er zu den Knien Jesu nieder und sprach: Geh von mir hinaus, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch!

9 Denn Erstaunen hatte ihn ergriffen und alle, die mit ihm waren, über den Fang der Fische, den sie gemacht hatten;

10 ebenso aber auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, die Gefährten von Simon waren. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen lebendig fangen.

11 Und als sie die Boote ans Land gebracht hatten, verließen sie alles und folgten Ihm.

Heute brauche ich besonders die Unterschiede zwischen dem griechischen Text und dem aramäisch/syrischen Text (der Peschitta):

Vers 4

Griechisch: „Fahre hinaus auf die Tiefe…“ (ἐπανάγαγε εἰς τὸ βάθος)

Peschitta: „Fahre hinaus in die Tiefe…“ (tēl l’‘umqā) – das aramäische ‘umqā (Tiefe) hat auch den Sinn von geheimnisvoller Grundtiefe, nicht nur räumlich.

Vers 5

Griechisch: „Meister“ (ἐπιστάτα)

Peschitta: „Rabbi/Maranā“ (Mārā, Herr/Meister) – stärker ehrfurchtsvoll, eher religiöse Autorität als bloß fachlicher Leiter.

Vers 6

Griechisch: „…und ihre Netze rissen.“ (διερρήγνυτο)

Peschitta: „…und ihre Netze drohten zu reißen.“ (metbaqq‘ān haw) – Nuance: nicht völliges Reißen, sondern fast zerreißend.

Vers 8

Griechisch: „Geh von mir hinaus, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch!“

Peschitta: „Entferne Dich von mir, mein Herr, denn ich bin ein Mensch Sünder!“ (bar-nāš hāṭā) – die Wortstellung betont „Mensch“ stärker: „ein Mensch, Sünder“, fast wie eine Wesensbeschreibung.

Vers 10

Griechisch: „Von nun an wirst du Menschen lebendig fangen.“ (ἔσῃ ζωγρῶν ἀνθρώπους)

Peschitta: „Von nun an wirst du Menschen fangen zum Leben.“ (ḥātēp bnēnāšē lḥayyē) – betont nicht das „lebendig fangen“ (als Gegensatz zum Töten), sondern „zum Leben hin“. Das ist eine positive, soteriologische Wendung.

Vers 11

Griechisch: „…verließen sie alles und folgten Ihm.“

Peschitta: „…ließen sie alles und gingen hinter Ihm her.“ (wšbaqū kul medem w’āzlū bāṭarēh) – der Ausdruck bāṭarēh („hinter Ihm her“) ist konkret räumlich, aber zugleich Jüngerschaftssprache: „in Seine Spur eintreten“.

Berührt sein

Zuerst steht die Anteilnahme, das Mitnehmen in das leiblich wirkliche Leben.

Erst danach, viel später, gibt es auch Logik. Sie ist Knecht – nicht Herr.

In unserer griechisch-römischen Kultur gilt Logik als das Wertvollere. Unser Rechtssystem z. B. ist auf Normen aufgebaut (anders als das angelsächsische).

Wahrheit im Abendland ist Definition und Logik. Die westlichen Kirchen haben Lehrsätze und Regeln.

Das semitische, das biblische Denken ist anders.

Es ist schwer – aber wichtig – sich diese eigene Prägung immer wieder bewusst zu machen.

Ich werfe die Logik nicht weg – aber sie darf nicht Herr sein.

Das ist gerade für mich nicht einfach.

Darauf einlassen

Mein mir naher Freund M. hatte große Schwierigkeiten mit einigen brutalen Geschichten im Alten Testament. Auch die Psalmen sind stellenweise schwer anzunehmen.

Inzwischen lernt er Psalmen auswendig. Sie sind ihm zu einem unerklärlichen Trost geworden – nicht auf einer logisch-rationalen Ebene, sondern viel tiefer, viel menschlicher.

Es ist nötig, dem Erzähler Autorität einzuräumen. Autorität und Sympathie. Dann empfange ich von ihm viel mehr als durch den engen Kanal der Logik. Zuerst ist da der Erzähler, dann das erzählte – und am Ende kann es evtl. auch der Logik gefallen.

Ich entscheide mich, lieber einen König über mir zu haben als ein Gesetz.

Betrachtung

So ist es z. B. mit dem Vers vier. In meiner Luther steht: „Fahre hinaus, wo es tief ist.“

Das habe ich als Fachanweisung verstanden.

Das Griechische hat: „Fahre hinaus auf die Tiefe“.

Und nun das Aramäische: „Fahre hinaus in die Tiefe.“ Eine geheimnisvolle Grundtiefe, nicht nur räumlich.

Ich halte inne und spüre dem nach.

Jetzt berührt mich etwas, was mir die Logik nicht geben kann.

Eine Nähe zu Petrus, zu seinem Empfinden. Eine Nähe zu Gott, der mein Leben größer, tiefer, reicher denkt als ich.

Und so erst will und kann ich annehmen, was Jesus zu Petrus sagt: „Du wirst Menschen lebendig fangen“. In der Peschitta noch mehr: zum Leben hin.

Denn ich will es ja.

Ich bin nicht mehr unglücklich gefangen wie die armen Fische.

Sondern ich bin gefangen von dem Berührt-sein mit meiner Heimat im Himmel. Bei Andreas und Petrus, beim Vater – aber auch auf diese existenzielle Weise bei den Menschen, die Jesus aufsucht und in Sein Reich begleitetet.

Hinterlasse einen Kommentar