Mi 08.10.2025
Lk 11:1-4 Das Gebet Jesu
Der Text
Aus dem griechischen Urtext
1 Und es geschah, als Er an einem Ort betete, dass, als Er aufhörte, einer Seiner Jünger zu Ihm sprach: „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“
2 Und Er sprach zu ihnen: „Wenn ihr betet, sagt:
Vater, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme.
3 Gib uns täglich unser notwendiges Brot.
4 Und vergib uns unsere Sünden,
denn auch wir vergeben jedem, der uns schuldig ist.
Und führe uns nicht in Versuchung.“
Rabbiner
Auch hier ist es wichtig, den Kontext zu beachten. Wie haben Rabbiner zu der Zeit gebetet? Ein paar Aspekte.
- Die Struktur war ähnlich. Lob Gottes, Dank, Betrachtung, Vergebung, Erbarmen, Dank.
- Die Gebete waren lang. Es entwickelte sich Z. B. gerade das dreimal am Tag zu betenden Amida, das Achtzehn-Bitten-Gebet.
- Die Distanz zu Gott war größer, viel größer. Wenn Gott mit „Vater“ bezeichnet wurde, dann nur als Vater der Väter des Volkes (Abraham, Isaak und Jakob).
Es war ein klar hierarchisches Gebet, kein Gebet einer Familie, kein Gespräch.
Sollen wir überhaupt in einer Form beten?
Die Jünger reden mit Jesus nicht formal. Jesus ist Gott und lässt sich sehr informell ansprechen.
Sollte ich nicht eine Vater-Sohn-Beziehung ohne Formeln auskommen?
Ich spüre: Auf dem Weg zum Vater gibt es zum einen eine immer größere Nähe, die zu einer Vertrautheit führt.
Aber zugleich ein immer größeres Erschrecken über die Heiligkeit und Reinheit Gottes und den Abstand, den die Qualität meiner Seele dazu hat.
Menschen, die Gott viel näher sind als ich, fürchten Ihn viel mehr und erkennen viel mehr als ich ihre eigene Unreinheit. So wie ich es bei Marie de l’Incarnation (1599–1672) lese.
Ich erkenne, dass dies in Wellen geschieht. Und ich erkenne, dass mein Problem viel mehr der Mangel an Ehrfurcht und Respekt ist als die Vertrautheit mit dem Vater.
Gott zum Kumpel machen
Viel Umgang mit Gott, gerade auch von Christen, ist von Respektlosigkeit geprägt. So wie Kinder ihre Väter mit Vornamen anreden und oft kaum noch Respekt haben, so auch mit Gott.
Insgesamt eine Kultur der Lässigkeit, Grenzenlosigkeit, Unheiligkeit.
Es drückt aber nicht eine familiäre Nähe aus – sondern eine Blindheit.
Wenn ich Gott näher komme und nicht erschrecke, dann nur, weil dieser Gott ein Konstrukt ist, und es nicht Gott selbst ist, dem ich nahekomme.
Damit ist es auch kein Gott, der mich zu sich ziehen kann – sondern ich habe Gott zu meinesgleichen gemacht.
Ich verliere die Transzendenz – die Distanz des ganz anderen zu meinem eigenen.
Ein Weg
Vertrautheit mit Gott kann man sich nicht mit trotzigem Bruch von Ordnungen einfach nehmen.
Es ist ein Weg.
Er muss Gott Gott sein lassen.
Gott ist über Israel zu den Menschen gekommen.
Auf dem Weg zu Gott geht es nicht ohne den Horeb. Ohne den Donner und ohne die Furcht. Ohne das rabbinische, ehrfurchtsvolle Gebet. Ohne Form und ohne Einordnung.
Der verlorene Sohn erkennt den Vater und wirft sich vor ihm in den Staub. Er erkennt sich selbst als Sünder – nicht als Sohn.
Erst darin kann eine Tür von Gott her aufgehen.
Gott nähert sich einem zerknirschten Geist – nicht einem Partylieder-Sänger.
In Jesus
In Jesus geschieht es oft, dass Gott sich dennoch zuerst als Freund zeigt.
Es ist unfassbare Gnade.
Der rechte Weg ist dann, den Weg der Heiligung in Gottesfurcht mit Ihm nachzuholen.
Die Kostbarkeit Seiner Freundschaft erscheint mir erst in dem Maße, wie ich Seine Reinheit, Erhabenheit, Heiligkeit zu erkennen beginne.
Ich suche der Kultur der Billigkeit zu entfliehen, dass meine Augen sehend werden, und ich im Glanz Gottes wie Tod zu Boden falle. Damit mein Geist am Ende Ihn erkennt, wie Er wirklich ist.
Herr, erbarme Dich.