Meine Verantwortung für den Bruder

Di 09.12.2025

Mt 18:12-14 Vom verlorenen Schaf

Der Text

Aus dem griechischen Urtext:

12 Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hat und eines von ihnen sich verirrt, lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen und geht hin und sucht das verirrte?

13 Und wenn es geschieht, dass er es findet, wahrlich, Ich sage euch: Er freut sich darüber mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben.

14 So ist es nicht der Wille eures Vaters in den Himmeln, dass eines dieser Kleinen verloren geht.

13 „Er freut sich mehr“: ܚܕܐ ܠܗ‎ ḥdā leh – wörtlich „Er hat Freude für es“.

Die Freude ist relational ausgedrückt.

Einbettung

An dieser Stelle geht es nicht zuerst um Gottes Sorge um mich oder darum, das Er mir nachgeht.

Sondern hier geht es um Jesu Auftrag an mich für meinen Bruder.

Vor diesem Abschnitt steht die radikale Warnung, den Bruder nicht zu verführen; danach folgt die Lehre über die Zurechtweisung des Bruders.

Ich betone: Es geht nicht darum, dass Gott, oder Jesus, in die Berge steigt, um das verlorene Schaf zu suchen und nach Hause zu tragen.

Es geht darum, dass ich das tue!

Nicht optional, nicht als Ergänzung zu meinem sonstigen Leben.

Am Grab

Vorgestern sprach ich darüber, dass am Grab fast immer gesagt wird, dass jener Verstorbene nun in einer besseren Welt sei.

Meine liebe Freundin Brig wies mich darauf hin, dass anderes ja unerträglich sei.

Ja.

Und das zeigt und bezeugt, was ich heute sage:

Ich bin verantwortlich dafür, meinem Bruder nachzugehen – bis in die höchsten Berge. Ihm treu zu sein, für ihn zu beten – denn es wäre unerträglich, wenn er am Ende nicht seine Heimat im Himmel finden würde.

Denn die Liebe geht über den irdischen Tod hinaus.

Immer. Die Liebe ist ewig, oder es ist keine Liebe.

Der Verstorbene kann nichts mehr für sich selbst tun, aber meine Liebe kann es!

Nur Plus?

Gibt es nur Plus?

Vielleicht will ich auch glauben, der Verstorbene sei nun bei Jesus, weil ich die Option, dass es nicht so ist, für mich selbst nicht ertrage.

Könnte es bei ihm so sein, könnte es auch bei mir so sein – unerträglich.

Und die Option, dass ich schuldig geblieben bin am Bruder? Diese Option entfiele, wenn „am Ende immer alles gut ist“.

Damit aber würde das ganze Leben zu einem eigentlich lächerlichen, unwichtigen Vorspiel auf den immer schon sicheren und tollen Himmel verkommen.

Jedes Leid würde zur Willkür werden, ja zur Lieblosigkeit Gottes.

Wenn ich vor Gott stehe

Dann wird Er mich nicht nach Werken fragen.

Er fragt mich nach meinem Bruder, meiner Frau, meinen Kindern.

Er fragt mich auch nach meiner Kirche und nach Deutschland.

Er fragt mich nicht, ob es mir gut ging mit all denen, sondern wie es denen mit mir ging.

Ob sie an mir „Geschmack am Himmel“ verkosten konnten.

Unerträgliche Last?

Diese Frage schnellt mir entgegen.

Dazu zuerst die andere Frage:

Kann sich ein Mensch ändern?

So sprach ich gestern in einem intensiven Gespräch mit einer Klientin.

Kann sich ihr Mann ändern – kann sie sich selbst ändern?

Sie sprach dann von dem Effekt, den z. B. eine Krebsdiagnose haben kann.

Angesichts eines nahen Todes kann sich ein Mensch ändern.

Wir aber wollen die Diagnose nicht hören.

Wir nennen sie „eine unerträgliche Last“.

Es muss doch eine machbare Abkürzung geben.

Ist das so?

Wer seine Augen verschließt vor der unerträglichen Last des wirklichen Lebens, findet auch keine Teilhabe an der Last Jesu, die Er an meinem Bruder hat.

Er findet das gemeinsame Joch nicht, weil er vor jedem fremden Joch zurückschreckt.

Das Ausweichen aus dem Joch Jesu führt zu einem seichten, vielleicht lustigem Leben.

Aber zu einem im Eigentlichen bedeutungslosen Leben.

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