Wo ist das Reich Gottes?

Do 10.11.2022

Lk 17:20 ff. Die Pharisäer fragen: Wann kommt das Reich Gottes?

Der Abschnitt besteht aus zwei Bereichen. Einmal die Frage der Pharisäer, wann das Reich Gottes kommt. Jesus antwortet, dass das Reich innwendig sei.
Und dann, mit der Aussage Jesu an die Jünger, dass sie begehren werden zu sehen, eine der Tage des Menschensohnes und werden sie nicht sehen.

Ich bin im Sommer 1986 Christ geworden. Seitdem habe ich Reich Gottes wachsen sehen, aber viel mehr noch und viel länger: absterben sehen oder verkümmern sehen.

Ich vermute, es hängt zum einen mit einem verändern des inneren Maßstabes zusammen. Ich sehe heute Jüngerschaft anders als vor 30 Jahren. Ich sehe das Reich Gottes weniger in den äußeren Erscheinungen wie Gottesdiensten oder Charismen oder Wundern. Sondern ich sehe es mehr in der Frage nach dem Gehorsam und nach der Bereitschaft, mit Jesus zu gehen – auch in Schwierigkeiten.

In beiden Bereichen, also in den äußeren Bereichen, als auch in inneren Bereichen, erlebe ich eine Ernüchterung. Und das nicht erst seit Kurzem, sondern seit Jahrzehnten.

Zugleich empfinde ich den Mangel, den die Welt an Reich Gottes hat, immer stärker. Ich empfinde immer stärker, dass nicht die christlichen Gemeinden wachsen müssen, sondern dass die Liebe der Christen wachsen muss.

Es ist vielleicht wie in Vers 22. Dort sagt Jesus: Es wird die Zeit kommen, dass ihr werdet begehren zu sehen einen Tag des Menschensohnes und ihr werdet ihn nicht sehen.

Vielleicht ist es so: je mehr im Herzen der Menschen das Reich Gottes wächst, desto stärker empfinden sie den Kontrast und den Mangel und bedürfen der Wiederkunft Jesu.

Der Umgang mit der Erwartung der Wiederkunft Jesu ist entweder ganz erloschen, oder er konzentriert sich auf die Zeichen der Zeit und die Kritik an der Entwicklung der Welt. Aber ist die Sehnsucht der Wiederkunft Jesu nicht vielleicht ein Zeichen des Reiches Gottes im Herzen.

Ich meine damit: Wenn ich mit einem leidenden Menschen verbunden bin, ganz verbunden bin und sein Leid tief erlebe, dann sehne ich mich sehr nach der Wiederkunft Jesu, und nach seiner Vollkommenheit, die mein Stückwerk wegnimmt.

Ich spüre es besonders in Beratungsgesprächen. Wenn es geschieht, dass mein Herz ganz Anteil nimmt am Herzen des anderen, und ich teilnehmen kann am Schmerz des anderen, dann spüre ich zugleich meine Ohnmacht und meine Sehnsucht, dass Jesus Christus eingreift.

Und oft erlebe ich es dann, dass außerhalb der Therapie, im Leben des Betroffenen, Dinge geschehen, die wesentlich zu seiner Heilung beitragen.

Das ganze passiert weniger, wenn ich mit Ratschlägen, oder Weisheiten, oder Erkenntnissen operiere. Manchmal fügt es sich zusammen, aber es ist eine Gefährdung, die ich mit einem neuen Wort bezeichnen möchte: Entherzlichung.

Entherzlichung ist ein Rückgang des Schmerzes im Herzen.

Und ich beobachte an mir: Nur der Schmerz des Herzens will Jesu Wiederkunft, will Jesu Nähe. Jesu Nähe für den anderen.

Das Reich Gottes ist inwendig in mir. Und ich spüre die Verantwortung, die auf mir liegt und spüre mein Scheitern, mein wiederholtes Vermeiden, meine Schuld. Mein Scheitern bezieht sich nicht auf mein Können, sondern mein Können verursacht zumeist mein Scheitern. Denn, dass mein Herz vom Leid des anderen verletzt werde, liegt nicht in meinem Können, sondern an meiner Liebe, an meinen Zulassen, an meinem Glauben an meine Geborgenheit in Dir.

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